Der folgende Reisebericht stammt aus dem Jahr 659 n.D. und wurde von Karan Randas, einem Gesandten des Hauses Darut nach einem Besuch in Nergor, der Hauptstadt Nerfans verfasst.
Der Reisebericht von Karan Randas gliedert sich in folgende Kapitel:
Nergor war einst der Dakor am nächsten gelegen Vorposten des karfanischen Reiches. Von solchem Ruhm ist heute nur mehr wenig zu spüren, zumal die Stadt heute von einem ungleich barbarischeren Volk beherrscht wird, das nur noch wenig gemein hat, mit dem stolzen Karfan.
Dennoch kann ich nicht verhehlen, dass mich die Stadt beeindruckt hat. Da ist zum einen ihre schiere Größe: Zu ihren besten Zeiten mögen 60.000 Menschen in Nergor gelebt haben und auch wenn inzwischen manche Stadtteile verlassen sind und in Trümmern liegen, so geht von ihr noch immer eine traurige Erhabenheit aus, der etwas vom Glanz Karfans erahnen lässt.
Überall in der Stadt, selbst in den Vierteln der ärmsten Bewohner, münden Wasserleitungen, die Brunnen und öffentliche Badehäuser speisen. Das Wasser dort ist sauber und speist sich aus den Quellen des feurigen Berges an dessen Hänge sich die Stadt schmiegt. Die Abwässer wiederum werden über Kloaken fortgeschafft und in den San'doog gespült - der gewaltige Strom, der sich träge um Nergor herumwindet.
Auch gibt es überall in der Stadt prunkvolle Tempel zu Ehren der krokodilhäuptigen Totengöttin Chenais und ihrer Dämonen. Zwar mögen unsägliche Dinge dort drinnen geschehen, Dinge, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, doch die steilen, hoch erhobenen Tempel jagen dem Betrachter eine tiefe Ehrfurcht ein - was zweifellos auch die Intention ihrer Erbauer ist. Beeindruckend ist auch das große Amphitheater, das die Nerfani "Jagdal" nennen, was so viel wie "Theater des Blutes" bedeutet. Die Kämpfe dort werden meist bis zum Tode ausgetragen, was der Motivation der Kämpfer sicherlich zuträglich ist. Allerdings kämpfen dort nur selten echte Kämpfer oder wilde Bestien. Zumeist ist es eher Gesindel, das man dort gegeneinander kämpfen lässt, darunter nicht selten sogar Frauen, was weder einen vergnüglichen Kampf ergibt, noch etwas ist, was ein zivilisierter Mensch sehen möchte.
Doch zurück zu den Häusern der Nerfani. Diese sind in den reicheren Vierteln aus dem schwarzen Lavagestein gemauert, aus dem die Hänge hier bestehen. Oft werden daneben auch Tonziegel gebrannt. Beides wird meist mit gebranntem Kalk verputzt und nicht selten bemalt. Die Dächer sind meist mit Schieferplatten gedeckt.
Falls man die Gelegenheit bekommt, das Haus eines reichen Nerfani von innen zu sehen - was durchaus geschehen kann, denn die Nerfani neigen zum prahlen und stellen ihren Reichtum gerne zur Schau - so möge man sich wappnen. Nicht selten sind die Häuser innen nämlich verputzt und bemalt oder die Fußböden mit Mosaiken ausgelegt. Die Abbildungen dort schwanken zwischen schauerlichen Abbildungen der Dämonen und wolllüstigen Szenen, wie man sie in Dakor nicht einmal in einem Bordell zeigen würde.
Ein Fremder betritt Nergor stets von der Meerseite aus. Und sofort beginnt in diesem vom Wahnsinn zerfressenen Land ein Angriff auf seine Sinne:
Die Anleger sind erfüllt mit einem Gewimmel aus Menschen. Direkt am Kai stehen bis auf einen Lendenschurz meist unbekleidete, barhäuptige und barfüßige Männer – man nennt sie hier „Urbas“, was so viel wie "Unwert" bedeutet. Diese wahrhaft Unwerten verdingen sich hier als Stauer, gerne aber auch als Diebe und mustern die Neuankömmlinge mal hoffnungsvoll, mal düster aus oft dunkel geschminkten Augen. Sie machen lauthals gestikulierend in der unverständlichen Sprache Nerfans auf sich aufmerksam. Sieht man dieses Gesindel an, so setzen sie meist ein verniffenes Lächeln auf und bieten unterwürfig ihre Dienste an.
Dazwischen finden sich zuweilen reiche Nerfani (sie nennen sich Menos) mit ihrer Dienerschaft, den Satas. Sie lassen sich auf Sänften durch das Gewimmel tragen und vermeiden es ihre parfürmierten Beine auf dem von stinkendem Unrat übersäten Boden zu setzen. Die Kleidung dieser Menschen ist kaum weniger knapp, jedoch sehr viel teurer, oft gar aus kojanischer Seide, die in Nergor hoch im Kurs steht. Aus dunkel geschminkten Augen und mit kostbarem Schmuck übersät schauen sie hochmütig auf das Treiben und lassen die Satas ihre Befehle umsetzen.
Und dann sind da noch die Frauen, die sich ohne Scham wie selbstverständlich zwischen den Männern bewegen und ihre Reize spielen lassen. Die wenige Kleidung, die sie tragen ist offensichtlich nicht dazu gedacht sie keusch zu verhüllen, sondern dient mehr dazu ihre Reize gar zu betonen. Die dem Gesindel zugehörigen Weiber laufen daher nicht selten nackt oder nur mit einem Lendenschurz herum – zumal dann wenn sie sich einige Münzen bei den grölenden Seeleuten aus allen Landen verdienen wollen. Die reichen Nerfani-Frauen hingegen tragen raffinierte Fetzen kojanischer Seide, die mit Gold, Silber und Edelsteinen verziert sind und stellen ihre Reize nicht minder schamlos zur Schau. Ihr Haar ist auf die vielfältigste Art frisiert – mal kurz geschnitten, wie bei einem Knaben, mal lang und in Wellen hochgesteckt. Einige scheren sich das Haupt auch kahl und tragen Perrücken, wie mir zugetragen wurde. Sie betrachten die Neuankömmlinge zuweilen mokant lächelnd und legen somit insgesamt ein Verhalten an den Tag, welches einer dakorianischen Kurtisane die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.
Und dann gibt es da noch die verderbte Priesterschaft Nerfans. Auf meinem kurzen Besuch in Nergor bin ich anfangs nur wenigen dieser schauderhaften Wesen begegnet, vor denen selbst die sonst so arroganten Menos demütig lächelnd das Haupt neigen oder gar auf die Knie gehen. Ich habe Priester gesehen, die teuer wie Lords gekleidet waren und solche deren Gesichter mit Asche verschmiert war und deren Zungen herausgerissen waren. Ihre Körper sind nicht selten mit Narben und Indigo-farbenen Bildern übersät, die mal schauerlich, mal auf groteske Weise sogar schön anzusehen sind. Auch kommt es vor, dass sie sich Gold- und Silberschmuck, aber auch Knochen oder dergleichen durch die Haut oder wer weiß welche Körperteile stechen. Wobei gesagt werden muss, dass dergleichen in diesem barbarischen Volk bei Leibe nicht nur bei Priestern vorkommt.
Begleitet werden die Priester meist von Bewaffneten, wobei mir nicht klar ist, ob sie angesichts der ihnen entgegengebrachten Demut solchen Schutzes überhaupt bedürfen.
Die meisten Nerfani die man sieht sind recht jung, denn das Leben ist kurz in diesem Land, in dem jeder den ihm Untergeordneten töten darf wie es ihm beliebt. Ausgeplünderte Leichname sieht man nicht selten von Fliegen umschwärmt in den Abfallgruben am Wegesrand verrotten, wo sich die Ratten, Hunde und Leguane an ihnen gütlich tun. Zudem findet man immer wieder auf's grausamste hingerichtete Diebe und sonstige Verbrecher, die man zur Abschreckung oft verrotten lässt, was zu einem allgegenwärtigen ekelhaften Verwesungsgeruch führt.
Umgekehrt kennt dieses Volk bei seinen Vergnügungen kein Maß: Alkohol, Drogen, unsägliche Orgien - ich habe bei meiner Reise Dinge gesehen, die mir noch immer die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ein Familienvater hat mir gar seine Frau für die Nacht angeboten und als ich dies empört ablehnte hat sich stattdessen seine Tochter erboten. Wie ich von dieser später erfuhr gibt es in der nerfanischen Sprache nicht einmal ein Wort für Keuschheit und Unberührtheit und die Nerfani spotten stattdessen über solche ehernen Prinzipien, die doch überall sonst auf der Welt gelten.
Mein erster Kontakt mit einem nerfanischen Händler ist mir noch gut im Gedächtnis geblieben. Man hatte mir ein Haus genannt, in dem mit den von mir gewünschten Waren gehandelt wurde. Ich klopfte, ein Diener öffnete mir, erkundigte sich nach meinen Wünschen und führte mich in einen Empfangsraum, wo er mich wieder verließ. Eine Frau in der typischen unzüchtigen Tracht des Landes erschien und ich verlangte von der vermeintlichen Dienerin zum Herren des Hauses vorgelassen zu werden, worauf diese mir kühl erwiderte, sie sei der Herr des Hauses.
Es ist, wie ich bei dieser Gelegenheit erfahren musste, in Nerfan anders als in den vernunftbegabten Kulturen der Welt nämlich nicht üblich, dass die Frauen den ihnen geziemenden Stand würdig an der Seite ihrer Männer einnehmen. Stattdessen scheint der reichere der beiden Partner den Hausstand unter sich zu haben. In besagtem Fall sah ich mich also gezwungen mit einem Weib zu verhandeln. Die Waren die ich erstand waren denn auch von schlechter Qualität und wie ich später erfahren musste auch maßlos überteuert.
Ansonsten kann man in Nerfan viele seltsame Dinge erstehen, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Räucherharze aus dem Hochland, exotische Speisen, wilde Tiere und geheimnisvolle Substanzen aus den tiefen des Narfal (oder Mirwad, wie sie den großen Wald hier nennen), Sklaven aus dem Lande selbst oder aus dem Mirwad (letzteres ist vorzuziehen), Edelsteine und Halbedelsteine, Trockenfisch, Salz aus den Salinen an der Küste und vieles mehr. Umgekehrt sind die Nerfani vor allem an Metallwaren und Glasarbeiten sehr interessiert. Allerdings muss wer Handel treibt auch beachten, dass die Gewässer vor Nergor unsicher sind und nicht selten von Piraten heimgesucht werden.
Ein Grund warum viele nach Nergor reisen ist daneben der Ruf ihrer Heilkunst. Hier sei gesagt, dass die nerfanischen Heiler in der Tat die besten der Welt sein dürften. Diesen Ruf lassen sie sich allerdings auch gut bezahlen. Hinzu kommt, dass mir durchaus glaubhafte Gerüchte zugetragen wurden, wonach diese Heilkräfte teilweise auch auf dämonischen Kräften beruhen und mit Menschenopfern verbunden sind. Ob ihm die Gesundung dergleichen wert ist, muss ein jeder selbst entscheiden. Ich jedenfalls würde meine Seele nicht durchgleichen belastet sehen wollen.
Jeder in Nerfan verehrt die krokolhäuptige Totengöttin Chenais. Die öffentliche Verehrung anderer Götter wird im Lande nicht geduldet und üblicherweise mit dem Tode bestraft (wobei die Nerfani bei der Umsetzung der Todesstrafe sehr kreativ sein können). Es empfiehlt sich also als Besucher seine Gebete im Stillen zu verrichten und die Nennung der eigenen Götter peinlichst zu vermeiden.
Doch die Nerfani verehren nicht alleine die Chenais, sondern darüber hinaus auch deren dämonische Diener, die man Chenaren nennt. Diese grausigen Götzen verlangen Blut und Menschenopfer und die Nerfani zögern nicht diesen ihre Wünsche zu erfüllen. Das kann dann auch für einen unbeteiligten Besucher aus fremden Landen sehr gefährlich werden. Ungefähr jeden zweiten Monat, in den Blutmonaten, werden den Chenaren Menschenopfer gebracht und ich kann nur dringend raten zu solchen Zeiten nicht im Lande zu weilen.
Weiterhin ergreifen die Chenaren, so sagte man mir zumindest, zuweilen Besitz von einem Tier oder gar einem Menschen. Ob dies stimmt wage ich nicht beurteilen. Auf meiner Reise ist mir zumindest kein solcherlei von Dämonen Besessener begegnet.
Als Fremder in Nerfan unterwegs zu sein ist eine knifflige Sache. Im Hafenviertel von Nergor sind Fremde wohlgelitten, weiter in der Stadt oder gar im Land ist man als Fremder dagegen vogelfrei wie ein Urba.
Wer unbedingt weiter in das Land gelangen möchte ohne in Gefahr zu geraten von jedermann erschlagen zu werden muss somit - zumindest formal - in die Dienste eines nerfanischen Menos treten und zu dessen Sata werden. Ich selbst war bei meinem Besuch in Nergor gezwungen dergleichen zu tun und wiewohl ich dabei ein äußerst schlechtes Gefühl hatte und mich in meiner Ehre gekränkt fühlte, so ging die Sache doch gut und konnte nach einem Monat mit heiler Haut wieder heimreisen.
Blicke ich zurück auf die Zeit in Nergor, so ergreift mich die Schauder über all das, was ich dort sah und erleben musste. Ich kann daher nur jedermann raten: Bleibt diesem Lande der Verderbnis fern!
Karan Randas war ein Gelehrter in Diensten des Hauses Darut und als Gesandter in einer diplomatischen Mission zu Besuch in Nergor. Zum Zeitpunkt seines Besuchs war er ein würdiger Mann von 33 Jahren. Nach seiner Rückkehr war er eine Weile als Gelehrter bei Hofe aktiv, ehe er Darut nach einem Skandal verlassen musste.