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Die Sage von Magun’Aju


Die Sonne stand zwischen Tag und Nacht und zwischen Sommer und Winter, als Ramai, der weiseste Agban, den die Gemeinschaft jemals kannte, am Strand die toten Leiber einer fremdländischen Frau und eines seltsamen Mannes erblickte. Doch als er wieder kam, um die Verstorbenen zu bergen, hörte Ramai das Weinen eines Kindes, und in einem geflochtenen Korb nicht weit von der Mutter fand er das schreiende Bündel, gerade als die ersten Sonnenstrahlen über den Gipfel des Berges blitzten und ihr wärmendes Licht auf das Gesicht des Kindes warfen.
Ramai beschloss, den Jungen zu adoptieren, und nannte ihn Omokun – das Kind der See. Omokun lernte schnell. Der Bursche wuchs zu einem klugen und beredten jungen Mann heran. Doch Omokun trug eine Dunkelheit in sich, die auch seinem Vater nicht verborgen blieb. Ramai lehrte Omokun Demut, doch dieser gab bei jeder Gelegenheit mit seinen Taten an. Ramai lehrte Omokun Vergebung, doch dieser blieb ein Hitzkopf. Ramai lehrte Omokun Hilfsbereitschaft, doch dieser nutzte stattdessen die Leichtgläubigkeit anderer aus. So blieb Ramai nichts anderes übrig, als seinen eigenen Sohn zu verstoßen. Aber kaum erwachsen, entfloh Omokun in einem Boot über das Meer.
Omokun war kaum mehr als die schleierhafte Erinnerung eines Traums, als er Jahre später in Begleitung einiger fremdländischer Diener wiederkehrte und eine Hütte auf dem Strand errichtete, den wir heute Namagu nennen. Von dort wanderte er jeden Morgen zum verbotenen Tempel. Nachts schlug er die Trommel, und geisterhaftes Geheul drang hinüber nach Okonokoriko, sodass sein nun ergrauter Vater beschloss, ihn zu konfrontieren.
Doch kaum war er seinem Sohn vor dem Tempel gegenübergetreten, war es um Ramai schon geschehen! Omokuns Hände glühten grün und schauerlich, umhüllt vom magischen Feuer, das er mithilfe uralter Hexerei zu seinem Untertanen gemacht hatte.
Ohne Ramais weise Führung war Okonokoriko leichte Beute für den Hexenmeister, der sich nun Magun’Aju (Grüner Hexenkönig) nannte, und seine Diener, sodass er alsbald Tribut verlangte und die friedvolle Gemeinschaft seinem Willen unterwarf. Das friedliche Volk wurde zu seiner Armee, mit der er die nahe gelegenen Inseln heimsuchte und Sklaven verschleppte.
Jahrzehntelang herrschte er als König über das Land und das Wasser, immer versessener darauf, alles und jeden zu kontrollieren. Selbst die Fische hasste er dafür, dass sie sich seinem Willen entzogen. Nur über eine Sache hatte er ganz und gar keine Macht: das Alter. Nach und nach ging auch sein Körper den Weg alles Irdischen, sodass der Hexenmeister, nun alt und grau, sich seiner eigenen Sterblichkeit gewahr werden musste.

So stieg er zusammen mit seinen treuesten Dienern und einem Treck aus Sklaven wieder in den alten Tempel, den er selbst versiegelte hatte. Vier Wochen und vier Tage blieb er verschwunden, bis sich sein neuer Körper erhob. Aus Stein, Lehm und Blut hatte er einen neuen Leib geschaffen. Gewaltig und monströs, getrieben von einem feurigen Herz aus grüner Flamme.
Doch was er nicht wusste, war, dass in der Zeit seiner Abwesenheit die Jalaya des Dorfes einen Champion erwählt hatte, um ihn zu stürzen – den jungen Sirru. Weitere Monate verbrachten die Verschwörer damit, ihren Sturz vorzubereiten, während Omokun seinen Dienern gegen ihren Willen alsbald ebenfalls neue Leiber schenkte, auf dass er niemals allein sein sollte.
Dann, die Sonne stand zwischen Tag und Nacht und zwischen Sommer und Winter, ruderten unsere Vorfahren hinüber zu Eba-Ina, der damals nur ein kleiner Feuerberg war. Doch Sirru, unser Champion, bot sich dem Vulkan als Opfer an, wenn er den grässlichen Magun’Aju bezwang.
Kaum hatten die Lavamassen Sirru verschlungen, begann der Berg zu beben und zu zittern. Dunkler Qualm drang aus den Ritzen und Spalten der Flanken und zog hinüber zum Palast von Magun’Aju. Donner und Gebrüll drangen aus dem undurchdringbaren schwarzen Rauch.
Der Abendwind vertrieb nicht nur den Qualm, sondern trug auch die letzten Worte des alten Hexenmeisters nach Okonokoriko hinüber, mit der er unsere Ahnen verfluchte, nie wieder Kinder auf der Insel zu zeugen.
Tags darauf stand der steinerne Körper des Hexers regungslos am Strand. Noch Jahrzehnte später brachten wir ihm Opfer, bevor wir beschlossen, dass wir uns nicht länger vor ihm fürchteten, denn Eba-Ina hatte jetzt einen neuen Sohn, da er Sirru zur Belohnung für seinen Heldenmut adoptierte und Eba-Ina schenkte ihm ein neues Dasein als Vulkan auf der kleinen Insel Iyefuna Wata. Gemeinsam hielten sie von da ab nun ihre schützende Hand über uns.